Ich habe fast mein halbes Leben lang geraucht. Mit Unterbrechungen. Nie besonders viel. Keine 10 Zigaretten am Tag. Trotzdem war es gerade für mich keine gute Idee, da ich schon sehr früh an Atemwegserkrankungen litt, woraus später allergisches Asthma wurde. Auch das ist bei mir nicht besonders schlimm ausgeprägt. Aber es ist da, und es stört.
Jeder Raucher weiß, dass Rauchen ungesund ist. Was hat es mich genervt, wenn man mir das gesagt hat. Oder wenn man mir nahegelegt hat aufzuhören. Ich lebe ansonsten sehr gesund. Ein Laster braucht doch der Mensch!
Während meines Studiums der sozialen Arbeit habe ich gelernt, dass nicht die Drogen das Problem sind, sondern die Gründe, die eine Sucht auslösen. Daher lautet die Lösung nicht: Ist die Droge weg, ist auch die Sucht weg. Die verlagert sich dann nur. Viele Menschen kompensieren den Verzicht auf Zigaretten mit Essen. Es wird ja auch gerne gesagt, dass Rauchen schlank hält. Das mag schon auch an den Wirkstoffen liegen. Dennoch habe ich nicht zugenommen, seit ich nicht mehr rauche. Ich esse nämlich nicht mehr als vorher. Und schon gar keinen Süßkram oder Fettzeugs.
Warum habe ich geraucht? Das habe ich mich oft gefragt. Und es gibt viele Antworten darauf. Es war Belohnung und Stressventil. Ein bisschen wie ein Schnuller zur Beruhigung, wenn es mir nicht gut ging. Nach einem anstrengenden Gespräch musste ich "erstmal eine rauchen". Durchatmen, runterkommen, Pause machen. Durchatmen. Das tun anscheinend viele Menschen nur beim Rauchen so richtig. Den Qualm tief in die Lunge ziehen, während ansonsten eher flach geatmet wird. Pause machen ist mit Zigarette auch einfacher. Man steht während der gesamten Zigarettenlänge nicht zur Verfügung. Wenn einer was will: "Sorry, ich rauche gerade." Ohne Zigarette ist das viel schwieriger: "Sorry, ich mach grad nix." Mir ist aufgefallen, dass man mich mehr in Ruhe gelassen hat, wenn ich geraucht habe. "Ach so, ja dann rauch erstmal zu Ende." Dieses Verständnis fehlt, wenn man einfach nur nichts tut. "Aha, könntest du vielleicht trotzdem kurz...?" Ohne das Abgrenzungshilfsmittel Zigarette muss man halt selbst für sich einstehen. Abgrenzung ist auf jeden Fall ein Thema meiner Meinung nach. Man nebelt sich ein und verschwindet kurz von der Welt. Ebenso wie die Welt für den Raucher hinter dem Dunstschleier verschwindet. Realitätsflucht. Außerdem stinkt man so schön, und die Leute machen einen großen Bogen um einen.
Durchatmen bedeutet auch, Luft tief in sich einzusaugen. Atem ist Leben. Man öffnet den Brustkorb beim Einatmen, gibt dem Herzen damit Raum, sich zu öffnen - für das Leben, für sich, für andere. Schlimmer als die Angst vor dem Tod, ist die Angst vor dem Leben. Obwohl, ist beides scheiße. Aber während des Lebens nicht zu leben ist irgendwie so... boah, das nervt! Und es nervt noch viel mehr, wenn Tschakka-Menschen einem zurufen: "Dann fang JETZT damit an! Fang an zu leben! Noch HEUTE!" Und ich denke dann: Ok, mach ich! Ich will endlich leben! Und dann passiert genau - nichts. Leere. Stille. Aber nicht die angenehme Sorte von Stille. Sondern die, die laut schreit, dass was nicht in Ordnung ist. Man kann Leben sicher lernen. Ich bin dabei. Ich will das wirklich. Aber es ist schwer, wenn man kein Naturtalent ist.
Das Herz öffnen. Für sich und andere Menschen. Für Beziehung. Für Gefühle. Da krieg ich schon Herzkasper beim Schreiben. Alles Dinge, die Angst machen. Toll. Großartig. Erstmal eine rauchen. Dann fühle ich nichts - keine Verletzung, keine Enttäuschung, kein Schmerz. Das ist natürlich alles trotzdem da und meldet sich auch immer wieder zwischendurch. Und natürlich ist das alles beim Rauchen nicht wirklich weg. Aber es wird gedämpft. Zumindest kommt es einem so vor.
Mit ner Kippe hat man auch was in der Hand. Daran kann man sich festhalten. Ohne Zigarette steht man mit leeren Händen da. Es macht auch irgendwie weniger Sinn, ohne Zigarette irgendwo rumzustehen. Also manchmal. Ich habe zum Beispiel die letzte Zigarette vor dem Schlafengehen immer vor der Haustür geraucht. Dabei habe ich oft Marder, Füchse und Dachse vorbeihuschen sehen. Das vermisse ich am meisten. Aber mich jetzt einfach so spät abends vor die Haustür stellen? Das sieht doch irgendwie bescheuert aus. Vielleicht versuche ich das trotzdem mal.
Rauchen hat noch viele andere Gründe oder Vorteile. Es hat auch was Geselliges, wenn man mit den anderen Verbannten vor der Tür steht. Das verbindet. Ich werde nie vergessen, wie ich am Wiener Flughafen in diesem kalten, stinkenden Glascontainer stand und wir uns alle kopfschüttelnd ansahen, weil wir das so unmöglich fanden. Mit ner Fluppe sieht man auch cool aus, zumindest wenn man so raucht wie James Dean oder Uma Thurman in Pulp Fiction. Es poliert die Identität auf - besonders im Jugendalter. Wer raucht, ist erwachsen und rebellisch.
Seit einigen Wochen plagen mich Schmerzen am Brustbein und in der Brustwirbelgegend. Mein Asthma ist auch schlimmer geworden. Natürlich läuft jetzt auch wieder die Heizung, und die Pferde kommen nachts wieder in die Box, d.h. ausmisten und in Staubwolken stehen. Trotzdem habe ich das so noch nie gehabt. Und es macht mir Angst. Eine Untersuchung beim Arzt hat nichts ergeben. Im Gegenteil. Alles top in Ordnung. Mein Physio hat mich zweimal eingerenkt an besagten Stellen. Zwischendurch wird es mal besser, dann ist es wieder schlimmer. Und ich kann nicht durchatmen. Also muss ich nun morgen zum Röntgen. Und ich habe große Angst davor, was dabei rauskommt. Vermutlich nichts. Aber mein Katastrophenhirn dreht gerade auf vollen Touren. Wenn ich nachlese, womit die betroffenen Brustwirbel organisch und vor allem psychisch zusammenhängen, wird mir einiges klar. Angst vorm Leben, Verletzung, Wut, Existenzängste, mangelnde Selbstliebe... Mein Heilungsprozess geht in die nächste Runde.
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Sofasophia (Montag, 19 November 2018 18:21)
Wie ähnlich es bei mir ist und war ... die Menge ebenso wie die Gründe. Danke für deinen Rundumblick auf das Thema Sucht aus dieser persönlichen Perspektive.