Da wird doch nur rumgelabert! Ich kann genauso gut mit einem Freund/einer Freundin über meine Probleme sprechen. Das kostet wenigstens nichts und der/die kennt mich. Wozu soll das gut sein, in der Vergangenheit rumzuwühlen? Ich sehe keine große Veränderung bei meinen Bekannten, die in Therapie waren.
So oder so ähnlich habe ich schon öfter Menschen über den (fraglichen) Nutzen von Therapie reden hören. Und es ist schon so, dass Therapie nichts bringt, wenn es zwischen Therapeut/in und Patient/in einfach nicht passt, wenn die/der Therapeut/in vielleicht nicht so empathisch und versiert ist, wie sie/er sein sollte, wenn die Therapieform nicht die richtige ist und an einem vorbei therapiert wird. Es ist auch so, dass die meisten Veränderungen durch Therapie nicht sichtbar sind. Oder zumindest nicht so offensichtlich. Der Hauptgrund meiner Meinung nach, warum viele Menschen den Nutzen von Psychotherapie anzweifeln, ist, dass immer noch erwartet wird, dass ein/e Patient/in nach ein paar Gesprächen "wieder auf Spur kommt", d.h. dass sie/er gesellschaftskonform funktioniert und wieder reinpasst. Das erwarten übrigens auch ganz oft die Patienten selbst. Dass danach wieder alles so ist wie "vorher". Oder dass man endlich mal "normal" wird.
Natürlich geht es bei Beschwerden, die einen massiv einschränken und von der alltäglichen Teilhabe abschneiden, darum, diese soweit zu minimieren, dass man zum Beispiel stressfrei unter Leute gehen oder einkaufen kann. Oder dass man überhaupt das Haus verlassen kann. Der Leidensdruck des/der Patient/in bestimmt das gewünschte Ergebnis. Zumindest sollte das so sein.
Aber da gibt es diese weniger offensichtlichen Themen, die einen quälen. Gedankenmuster, Zwangswiederholungen von bestimmten Situationen und Beziehungen, das Gefühl der Haltlosigkeit im Leben oder fehlender Substanz, dieses Etwas, das dem Leben Sinn einhaucht, Konfliktmuster, geschwächte oder fehlende Grenzen... Woran kaum eine/r denkt, wenn sie/er sich in Therapie begibt, ist die gebeutelte Beziehung zu sich selbst und wie wichtig und ausschlaggebend diese für ein erfülltes Leben ist. Die Veränderungen, die sich in diesem Bereich durch Psychotherapie vollziehen, sind im Außen kaum zu erkennen. Vielleicht fällt es auf, dass man öfter Nein sagt. Oder dass man sich in Konflikten anders verhält. Aber dass man sich morgens im Spiegel anlächelt und sich selbst sagt "Du bist genug!"und das auch fühlt, kriegt keiner mit. Alles, was die anderen sehen, ist, ob du nun arbeitest oder nicht, ob du Ziele hast, dich im Leben vorwärts bewegst - so wie es die Allgemeinheit für richtig befindet.
Psychotherapie in all ihren verschiedenen Formen und Angeboten wirkt selten mit einem Hammerschlag. Es mag Geistesblitze geben, die plötzliche Umlegung eines Hebels im Hirn durch einen Satz, der ins Mark trifft. Aber im Großen und Ganzen ist der therapeutische Prozess ein schleichender. Wie oft habe ich in der Therapie verzweifelt geäußert, dass ich kein Vorwärtskommen sehe. Und wie oft wurde ich dann von der/dem Therapeut/in auf meine großen Fortschritte hingewiesen. Selbst als Patient/in erkennt man diese nicht immer. Wir sind halt gut konditioniert, was allgemein als relevanter Fortschritt gilt.
Selbstverständlich kann ich meine Probleme auch mit Freunden besprechen. Die verlangen dafür kein Geld. Ein tragendes soziales Netzwerk ist wichtig. Aber Freunde haben keine psychotherapeutische Ausbildung. Sie können einem zwar dennoch mal etwas sagen, das einem die Augen öffnet oder heilsam wirkt, oder einfach nur zuhören. Trotzdem finde ich es wichtig, mit einer völlig fremden Person zu sprechen, die nicht emotional involviert ist und mit fachlichem Hintergrund von außen auf die vorgebrachten Themen schaut. Wenn man immer nur alles mit sich alleine ausmacht, kommt man nur bis zu einem gewissen Punkt. Man kann Bücher lesen, um sich zu informieren, und das eine oder andere ausprobieren, was in Ratgebern vorgeschlagen wird. Aber seine blinden Flecken kann man selbst nicht erkennen. Dafür heißen sie blinde Flecken. Und dafür brauchen wir einen anderen Menschen, der uns darauf hinweist. Manche Freunde tun das. Viele aber auch nicht. Man will ja niemanden verletzen, und es könnte zu Streit führen. Und wenn man sich schon eine ganze Weile kennt und sich nahe steht, wird man mit der Zeit auch betriebsblind. Deshalb ist es in meinen Augen unerlässlich, sich bei tiefergreifenden Lebensthemen an eine unbeteiligte Fachperson zu wenden. Wenn mich körperliche Beschwerden quälen, gehe ich ja schließlich auch zum Arzt.
Was haben mir nun all die Therapien im einzelnen gebracht? Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich das alles aufzählen würde, aber die wichtigsten Dinge will ich euch hier nennen. Ich kann wieder genießen und Freude empfinden. Ich habe meine Kreativität zu neuem Leben erweckt. Ich habe eine deutlich positivere Einstellung zu mir selbst. Es gibt Sinn und Hoffnung in meinem Leben. Ich konnte meine Wunden soweit annehmen und verpflegen, dass ich aus der Opferrolle aussteigen und meine Selbstwirksamkeit wiedererlangen konnte. Ich kann meine Eltern als Menschen mit eigenen Wunden erkennen, die ihr Bestes gegeben haben, und hadere nicht mehr so sehr mit meinem Schicksal. Ich übernehme mehr und mehr Verantwortung für mich selbst statt immer nur für andere, was so schön von mir ablenkt. Ich habe mehr Selbstwertgefühl entwickelt und bin dadurch weniger abhängig von der emotionalen Zuwendung anderer. Ich bin emotional nachgereift und habe eine Beziehung zu meinem inneren Kind aufgebaut. All diese Dinge sind im Außen kaum wahrnehmbar, doch für mich bedeuten sie eine erhebliche Steigerung meiner Lebensqualität. Ich habe jahrelang hart an mir gearbeitet und bin mehrmals in meine persönliche Unterwelt hinabgestiegen, um mich dort mit meinen Schatten auseinanderzusetzen. Und ich finde das bisherige Ergebnis enorm. Am Ende zählt, dass wir glücklich sind. Für mich bedeutete das bisher innerer Friede. Und jetzt wird es so langsam nochmal Zeit für Spaß.
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Sofasophia (Freitag, 04 September 2020 14:51)
Das mit dem inneren Frieden und der Lebensqualität steht für mich auch je länger je mehr an oberster Stelle, und auch als Therapieziel ist es mir das erste. Früher war es eher, wie du schreibst: Wieder gesellschaftskompatibel werden. Heute frage ich mich: Wozu wollte ich das? Letztlich geht es hier ja um meine Befindlichkeit und erst dann um den Kontext.
(Schön, dein neues Blogdesign. Ich kann den Lavendel beinahe riechen.)