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Erlernte Hilflosigkeit

Der Spruch auf dem Bild klingt jetzt wieder nach "Du musst nur wollen!". Aber das allein reicht eben nicht, wenn man gelernt hat, hilflos zu sein und keinerlei Einfluss auf sein Leben zu haben. Natürlich kann man nicht alles beeinflussen. Trotzdem kann man sein Leben aktiv gestalten, auch wenn einem viele Steine in den Weg gelegt werden und die Realität einem oft die glitzernde Traumwolke unter dem Allerwertesten wegzieht. Aber es gibt kaum ein schrecklicheres Gefühl, als dass einem das Leben einfach nur passiert.

 

Der Begriff "erlernte Hilflosigkeit" ist ein kognitiv-behavioristischer Ansatz zur Erklärung der Entstehungsursachen der Depression, der Mitte der 60er Jahre von dem amerikanischen Psychologen Martin E.P. Seligman entwickelt wurde. Leider hat er dafür Tierversuche an Hunden durchgeführt. Die Erkenntnisse sind dennoch mehr als interessant und äußerst hilfreich. Seligman stellte fest, dass Menschen depressiv werden, wenn sie davon überzeugt sind, in ihrem Leben keine Kontrolle zu besitzen und diesen Zustand der Hilflosigkeit selbst verschulden. Kommt euch das auch so bekannt vor? "Es geht mir schlecht, kann das aber nicht ändern. Es ist eben so. Ich bin einfach zu blöd. Ein Versager!" Wir fühlen uns wie ein dummer Esel, der sich nicht selbst befreien kann. Alle anderen um uns herum verstehen das nicht und rufen uns zu: "Du musst doch nur...". Das verstärkt das Gefühl des Selbstverschuldens und führt zu Selbsthass. Wenn ich mir das Bild oben anschaue, denke ich, wie traurig das ist, dass der Esel nicht einfach weggeht und den Plastikstuhl hinter sich herschleift. Das erscheint wirklich dumm. Aber das ist es nicht. Der Esel hat gelernt, dass er das nicht kann, und ist nun davon überzeugt, dass es nicht geht. Warum es also überhaupt versuchen? Lieber die Energie sparen und zum scheinbar notwendigen Aushalten nutzen.

 

Diese erlernte Hilflosigkeit hängt eng mit Traumatisierung zusammen. In einer traumatisierenden Situation erfahren wir Ohnmacht und Kontrollverlust. Wir sind das wehrlose Opfer, der Täter ist zu stark. Diese tiefsitzende Erfahrung sorgt dafür, dass wir immer wieder erstarren und uns hilflos fühlen, auch wenn wir es objektiv gar nicht mehr sind. Das ist nicht unsere Schuld! Wir sind nicht doof, faul, feige oder sonst was! Unsere Wahrnehmung ist nur verzerrt durch diese Konditionierung. Wenn wir immer wieder gelernt haben, dass wir nichts bewirken können, hören wir irgendwann auf, es zu versuchen, und resignieren. Wir glauben, dass wir machtlos sind, kein Recht auf Selbstbestimmung haben und über keinerlei Kontrolle verfügen. In diesem Zusammenhang wird auch das Schreien lassen von Babys diskutiert.

 

Zu erkennen, dass ich Hilflosigkeit erlernt habe und nichts dafür kann, hat mir nachhaltig geholfen, dieses Gefühl der Selbstverschuldung und Unzulänglichkeit aufzulösen. Es ist natürlich noch nicht ganz weg und taucht in triggernden Situationen gerne wieder auf (in ganz schlimmen Momenten zusammen mit Suizidgedanken). Aber zu wissen, dass ich nicht zu blöd zum Leben bin und nicht betroffene Menschen ebenso wenig dafür können, das nicht zu verstehen, wenn ich mal wieder passiv die Schultern zucke, gibt eben diesem Verhalten eine Daseinsberechtigung. Es ist eine logische Folge von schlimmen Erfahrungen. Leider wissen das oft nicht mal Fachpersonen. Siehe hierzu meinen Artikel Die Würdigung des verletzten inneren Kindes in der Therapie.

 

Der Weg aus dieser Hilflosigkeit führt über die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Schritt für Schritt kann man in kleinen Situationen (je nach Bedarf bitte therapeutisch begleitet!) aktiv eine Veränderung herbeiführen, die den eigenen Bedürfnissen entgegen kommt. Zum Beispiel Nein sagen oder einen Konflikt offen austragen, anstatt den Frust runterzuschlucken. Für viele Menschen ist das nichts Besonderes. Wer aber gelernt hat, dass er das nicht darf und bestraft wird, wenn er für sich einsteht oder Grenzen setzt, für den wird dies zu einer existenziellen Situation. Die gute Nachricht: So wie man die Hilflosigkeit lernen kann, kann man eben auch die Selbstwirksamkeit lernen. Es braucht Zeit, Geduld, einen langen Atem, gute Unterstützung (professionell, aber auch im direkten Umfeld) und eine Portion Mut. Es wird Rückschläge geben. Wie in jedem Lernprozess. Das ist normal und hat nichts mit Versagen zu tun! Aber der Gewinn ist enorm!

 

Tatsächlich kann ich das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit auch bei unseren Pferden beobachten - oder vor allem bei unserem Pony. Meine Stute kann recht gut für sich einstehen, doch hat auch sie die Erfahrung von Machtlosigkeit machen müssen. In der Pferdewelt geschieht dies oft aus Mangel an besserem Wissen. Ein Pferd ist ein Tier und hat zu gehorchen. Um dies zu erreichen, sind viele Mittel recht. Meistens geschieht dies auf dem Weg der erlernten Hilflosigkeit. Das Pferd wird so lange in eine Situation hineingezwungen, bis es aufhört, sich zu wehren. Natürlich muss der alltägliche Umgang mit dem Pferd gefahrenfrei funktionieren. Und natürlich ist es toll, wenn mein Pferd durch Pfützen geht und vor nichts Angst hat. Der Weg dahin ist jedoch entscheidend, und das Ergebnis auf den ersten Blick zwar derselbe, bei näherem Hinschauen erkennt man jedoch den großen Unterschied. Ein resigniertes Pferd ist kein selbstbewusstes Pferd, dass seinem menschlichen Herdenchef vertraut. Das kann irgendwann nach hinten losgehen. Bevor ich euch jetzt aber weiter mit Pferdekram langweile, möchte ich nur soviel sagen: Seit unsere Pferde Nein sagen dürfen (natürlich in einem nicht gefährdenden Rahmen beim freien Training auf dem Sandplatz), kommen sie freiwillig auf uns zu und zeigen mehr Motivation. Unser Pony, das sich die ersten 2-3 Jahre nicht einfangen ließ, nachdem es bei seinen Vorbesitzern 21 Stunden am Tag in einer stockdüsteren Box eingesperrt war und mit nichterkannten Rückenschmerzen geritten wurde, fragt nun regelrecht nach gemeinsamer Zeit. Es weiß nun, dass wir es nicht mehr missbrauchen und überfordern und dass es sich bei uns sicher fühlen kann. Im Zweifelsfall hat es immer noch die Möglichkeit, auf dem Paddock oder auf der Wiese vor uns wegzulaufen. Selbstwirksamer geht's nicht!

 

https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/hilflosigkeit-erlernte/6552

https://www.traumaheilung.de/hilflosigkeit/

https://kinderheldin.de/blog/soll-man-kinder-schreien-lassen

https://www.spektrum.de/news/in-den-schlaf-weinen-und-die-spaetfolgen/1420228

https://www.wege-zum-pferd.de/2018/04/17/erlernte-hilflosigkeit/

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Kommentare: 2
  • #1

    Sofasophia (Mittwoch, 10 April 2019 12:37)

    Was für ein mutmachender Artikel. Ich mag die Beispiele aus dem Pferdestall sehr. Besonders deine Sätze:
    "Und natürlich ist es toll, wenn mein Pferd durch Pfützen geht und vor nichts Angst hat. Der Weg dahin ist jedoch entscheidend, und das Ergebnis auf den ersten Blick zwar derselbe, bei näherem Hinschauen erkennt man jedoch den großen Unterschied. Ein resigniertes Pferd ist kein selbstbewusstes Pferd, dass seinem menschlichen Herdenchef vertraut."
    Wir können von Tieren so viel lernen, über die Angst, über uns selbst.
    Danke!

  • #2

    Heide (Freitag, 04 September 2020 12:09)

    Vielen Dank für diesen wertvollen Artikel, den ich in Vorbereitung auf meine Arbeit mit Arbeitslosen Menschen gelesen habe. Es vertieft mein Verständnis auch im privaten Bereich, da mein Mann sehr konfliktscheu ist und es ihm schwer fällt für sich einzustehen. Auch hier vertieft sich meine Akzeptanz und mein Mitgefühl, wenn ich diese Zeilen lese.