Im Anschluss an den vorangehenden Post ist mir noch ein dritter Grund eingefallen, der mich zum Überspielen meiner Befindlichkeit motiviert. Ich habe bereits angedeutet, dass Depressive in der
Gesellschaft einen schweren Stand haben. Als ich in meiner ersten akuten Episode steckte, sagten meine damaligen "Freunde" zu mir: "Wenn du schlecht gelaunt bist, bleib zu Haus!" Kleine Bemerkung
am Rande: von diesen Personen gehört keiner mehr zu meinem Dunstkreis.
Menschen wollen Spaß haben, fröhlich sein und unterhalten werden. Ihren Wert messen sie an ihrer Leistung. Da fallen Depressive aus dem Rahmen. Um nicht komplett auf Seite zu stehen, bemüht man
sich also, das alles irgendwie vorzutäuschen.
Meine Mutter erzählte mir einmal von einem Mann in meiner Heimat, der auf einer Party die gesamte Gesellschaft bei Laune hielt und anschließend nach Hause fuhr, um sich dort in aller Einsamkeit
und Verzweiflung das Leben zu nehmen. Was für eine tragische Geschichte! Tragisch, weil alle schockiert waren, da niemand seine Not gesehen hatte. Tragisch, weil dieser Mann seine Not niemandem
gezeigt hatte. Soviel zum Thema "Fassade" und "Sie wirken gerade nicht depressiv auf mich".
Ich will nicht als Jammerlappen und Spaßbremse dastehen. Und ich will nicht, dass man mich für mürrisch hält oder meine Stimmung gar persönlich nimmt. Also bin ich gezwungen, gute Miene zum bösen
Spiel zu machen. Die Alternative lautet, zu Hause bleiben. Das wird auf Dauer aber langweilig und regt außerdem genauso zu Spekulationen an. "Warum kommt sie nicht mehr? Haben wir ihr etwas
getan? Ist sie krank?"
Manchmal bin ich von mir selbst überrascht, wie witzig ich sein kann, obwohl mir eben noch zum Heulen war. Humor ist halt, wenn man trotzdem lacht. Meine Wutanfälle auf der Arbeit müssen
besonders unterhaltsam gewesen sein. Meine Kolleginnen haben sich jedenfalls immer weggeschmissen vor Lachen. Und mir beigepflichtet. Außerdem habe ich ein herausragendes Talent zur Parodie:
Vorgesetzte, Kollegen oder Klienten - keiner war vor mir sicher. Mann, was hatten wir für einen Spaß in unserem Elend! Der größte Clown aus der Truppe sitzt jetzt psychisch erschöpft zu Hause und
schreibt gerade diesen Post.
Das Thema Leistung betrifft mich in ganz besonderem Maße. Eben erst haben meine Therapeutin und ich festgestellt, dass ich aufgrund meiner Ängste eine hartnäckige Antihaltung gegen Arbeit
entwickelt habe. Andererseits wünsche ich mir wirklich von Herzen, arbeiten zu können und beruflich meinen eigenen Weg zu finden.
Die Frage nach dem Beruf wird sehr häufig gestellt. Beim Kennenlernen, beim Wiedersehen nach einigen Monaten oder Jahren... Meine derzeitige Antwort: Nix. Nix? Verunsichertes Lachen.
Verständnisloser Blick. Dann die Frage, die ich mittlerweile so sehr hasse, weil ich sie echt nicht verstehe: Was machst du denn den ganzen Tag? Offensichtlich wüsste kaum ein Mensch etwas mit
sich und seiner Zeit anzufangen, wenn er nicht arbeiten würde. Ist der Beruf am Ende doch nur Beschäftigungstherapie? Nein, natürlich sehe ich ein, dass der Mensch eine Aufgabe braucht, die
seinem Leben einen Sinn gibt. Im allgemeinen Verständnis handelt es sich dabei um bezahlte Arbeit.
"Nix" ist natürlich auch keine besonders schlaue Antwort. Ich orientiere mich gerade um. Wohin weiß ich noch nicht. Oft kommen dann total tolle Vorschläge. Da hilft nur nicken, lächeln und auf
Durchzug schalten.
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