Am 16.01.2022 veröffentlichte der SWR1 ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker und Klinikleiter Bernd Deininger. Darin geht es um die sieben Todsünden und wie sich diese in psychischen Krankheiten äußern. Richtig gehört. Psychisch krank zu sein, ist eine Todsünde! Das habe ich jetzt drastischer formuliert, als dieser Fachmann es meinte. Denn die von einem Mönch ersonnenen sieben Todsünden seien ursprünglich gar nicht wertend gemeint gewesen, sondern dienten lediglich dazu, negative Charakterzüge oder Gefühle zu benennen, die seine Mitbrüder am Heiligwerden hinderten, um diesen dann entgegenwirken zu können. Klingt schon gleich viel besser! Nein, im Ernst, da ändert es auch nichts mehr, wenn im Interview gesagt wird, dass man ja von einem liebenden Gott ausginge und keinem strafenden. Immerhin! Es bleibt trotzdem die Annahme zurück, man verschulde seine psychische Krankheit irgendwie selbst, weil man sich nicht genug bemüht.
Depression wird in diesem Gespräch mit der Todsünde Trägheit gleichgesetzt. Da hammers ja wieder! Alles faule Schweine, diese Depressiven, die einfach nicht aus dem Bett wollen! Auf die Bitte um ein konkretes Fallbeispiel bedient sich Herr Deininger eines Klischees: abgemagerte und verwahrloste Depressive werden von ihren Angehörigen in die Klinik gebracht. Wozu machen wir alle diese Entstigmatisierungsarbeit, wenn es diesem studierten Psychotherapeuten gelingt, alles innerhalb knapp 7 Minuten in die Tonne zu kloppen?
An diesem Gespräch stören mich gleich drei Tatsachen. Erstens finde ich es erschreckend, dass solche mittelalterlichen Ansichten von einem Fachmann vertreten und verbreitet werden. Er hat nämlich zusammen mit dem bekannten Autoren und Mönch Anselm Grün ein Buch über dieses Thema geschrieben. Um zu helfen, natürlich. Dazu später. Was mich so sehr ärgert, ist, dass es gewisse Psychotherapeuten und -therapeutinnen gibt, die sich aufgrund ihres umfassenden Studiums der klinischen Psychologie plus Psychotherapieausbildung in einer der drei anerkannten Verfahren für kompetenter und daher unfehlbar halten, während sie arrogant auf Heilpraktiker in Psychotherapie herabschauen und diese als gefährlich und Patienten schädigend hinstellen. Ich habe über dieses Thema einen ganzen Blogbeitrag geschrieben, den ihr hier nachlesen könnt. Ich möchte nur kurz dazu sagen und wiederhole mich da auch gerne: Es gibt auf beiden Seiten kompetente Menschen und absolute Nieten, die aus dem Verkehr gezogen werden sollten. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich einige harmlose aber wenig hilfreiche Therapeuten und Therapeutinnen. Ich habe schon von allem erlebt. Die Qualifikation machte da leider keinen Unterschied. Obwohl ich es natürlich wichtig finde, dass man einen guten fachlichen Background hat und verdammt nochmal weiß, was man tut und mit wem und was man es zu tun hat! Aber es ist nunmal so, dass die Therapeutensuche ein Lotteriespiel bleibt. Manche haben Glück, viele haben Pech und werden schlimmstenfalls retraumatisiert. Was es für mich aber so schlimm macht, wenn ausgerechnet von einem Klinikleiter und Psychoanalytiker so eine stigmatisierende Aussage kommt, ist das Problem, dass viele denken werden: Das ist ein Fachmann. Also stimmt das!
Zweitens ist es eine Schande, dass ein bekannter Sender wie der SWR1 sowas ungeprüft sendet. Tja, die Medien halt. Zeigt sich ja immer deutlicher, dass man darauf nichts mehr geben kann. Jetzt wird bei vielen Lesern eine Schublade im Hirn aufpoppen. Auch diese Schublade wurde von den Medien gezimmert. Ich wollte es selbst nie glauben. Aber ich durfte es aus nächster Nähe erfahren, wie sehr Medien verdrehen und verfälschen. Da wird nichts mehr überprüft oder hinterfragt. Das steht dann so da und wird von niemandem berichtigt. Und es sickert in die Köpfe und wird dort zur Realität. Zu DER Wahrheit. Das ist mit der These, psychische Krankheiten seien vergleichbar mit den sieben Todsünden nicht anders. Es kommt von einem Fachmann, der in einem bekannten öffentlichen Medium gesprochen hat. Das muss also stimmen! Selbst wenn man mit der katholischen Religion nichts am Hut hat, klingt es doch irgendwie einleuchtend mit der Trägheit, oder?
Und das wäre der dritte Punkt, der mich richtig wütend macht. Ich wuchs mit exakt diesem Gedankengut auf, was dazu geführt hat, dass ich mir viel zu spät Hilfe geholt habe. Da kann man tausendmal sagen, dass die sieben Todsünden ursprünglich nicht wertend gemeint waren. Die Kirche hat sie sehr wohl dazu benutzt, um ihre Schafe in Angst und Schrecken zu versetzen, hat sie ausgenommen mit Ablassbriefen und sie glauben lassen, sie könnten nur so der Hölle entkommen. Das Wort Sünde allein ist schon negativ behaftet. Jemand tut mit Absicht etwas schlechtes. Er weiß es besser, aber er sündigt trotzdem. Eine Todsünde ist noch viel schlimmer als alle anderen Fehltritte. Sie führt zur ewigen Verdammnis. Das kann man alles noch so modern verpacken und von einem liebenden und heilenden Gott sprechen. Dann muss man aber auch andere Bezeichnungen dafür finden. "Todsünde" oder "negative Gefühle" sind dafür absolut unpassend. Depression ist kein negatives Gefühl sondern eine Krankheit. Und die Ausführungen von Herrn Deininger zeigen für mich deutlich, dass er die Angelegenheit gar nicht so modern sieht. Und viele (katholische) Zuhörer werden das ebenso verstehen. Psychisch Kranke sind charakterschwache Menschen, die ihre Situation selbst verschuldet haben. Und dieser nette, empathische Fachmann bringt sie wieder auf den richtigen Weg.
Das mag für Laien harmlos klingen. Und ich wiederhole mich zum xten Mal. Aber eine solche Sichtweise und Reaktion auf Depressive macht folgendes mit Betroffenen:
- Es bestärkt sie in ihrem negativen Selbstbild.
- Es schürt den Selbsthass.
- Es führt zu mehr sozialem Rückzug, weil man sich schämt, sich unwohl fühlt, überfordert ist...
- Nochmal: es beschämt!
- Es lässt einsam und unverstanden fühlen, also schweigt man künftig.
- Super gefährlich bei suizidalen Tendenzen!
- Das Selbstwertgefühl, welches bei Menschen mit Depressionen hauptsächlich leidet, wird einmal mehr beschädigt.
- Man fühlt sich falsch, unfähig, dumm, überflüssig, störend, belastend.
- Aussagen wie "Selbstmörder kommen in die Hölle", "Selbstmordgedanken flüstert einem der Teufel ein"... können zu irrationalen Ängsten führen.
- Im schlimmsten Fall kommt es zum erfolgreichen Suizid.
An dieser Stelle möchte ich auf einen weiteren Blogartikel von mir aufmerksam machen: Die Würdigung des verletzten inneren Kindes in der Therapie. Denn genau das fehlt mir hier und bei so vielen Therapeuten, Therapeutinnen, Psychologen, Psychologinnen und sowieso bei Fachärzten und -ärztinnen. Bevor sich nicht um die Ursachen gekümmert wurde, um die festsitzenden Gefühle aus vergangenen belastenden Situationen oder Traumata, kann niemand gesund werden. Und dabei ist es wichtig, dass der oder die Betroffene nicht nur weiß sondern fühlt, dass er oder sie nicht schuld ist. Wir tragen nur eben alle die Verantwortung für unsere Heilung in Form von Integration ALLER Gefühle - auch der angeblich negativen. Man käme doch auch nicht auf die Idee, jemandem mit einem auf das Sprachzentrum drückenden Gehirntumor die Schuld dafür zu geben, dass er nicht richtig sprechen kann. Depression ist wie ein Seelengeschwür, das auf die Lebensfreude drückt. Oder wie ein Abszess, der sich aus einer unverheilten Wunde gebildet hat. Kranksein ist keine Sünde. Und Depressive sind alles andere als schwach - sehr viele sind nicht mal wirklich träge. Die Sichtweise auf eine Krankheit und den Menschen, der mit dieser lebt, ist für mich entscheidend für einen erfolgreichen Heilungsweg. Und deshalb gehören solche Stigmatisierungen ausgemerzt.
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