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Bevor du dir eine Diagnose gibst, ...

Bild: Pixabay
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… vergewissere dich, ob du nicht einfach nur von Arschlöchern umgeben bist! - Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt haben soll. Ist auch nicht so wichtig. Die Aussage zählt. Und die besagt, dass deine Umgebung dein Selbstbild prägt.

 

Wir wissen, dass wir das , was man immer wieder über uns sagt, irgendwann verinnerlichen und glauben - und schlimmstenfalls am Ende sind. Wenn man uns unaufhörlich eintrichtert, dass wir Versager sind, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen und für alles zu blöd sind, hören wir irgendwann auf, es überhaupt zu versuchen, und scheitern an unseren Glaubenssätzen. Worte haben Macht. Sie machen etwas mit uns. Und wenn diejenigen, die uns Negatives eingeflüstert haben, nicht mehr da sind, übernimmt der innere Richter, und wir sabotieren uns selbst auf unserem Lebensweg. Wir wissen das. Doch ist es uns bewusst? Können wir unterscheiden, welches Bild wir von uns übernommen haben und was wir wirklich von uns selbst denken? Sind wir überhaupt noch dazu in der Lage, uns ein eigenes Bild von uns zu machen?

 

Ich habe lange Zeit geglaubt, ich hätte Schwierigkeiten damit, mich in eine Gruppe zu integrieren und Kontakte zu knüpfen. Bis ich in die Klinik kam und innerhalb von 2-3 Tagen Anschluss fand und sogar zu sowas wie einer Clique gehörte. "Da kommt die Mädchengang!" wurde uns entgegengerufen. Menschen sprachen mich an, weil sie Zeit mit mir verbringen wollten, mit der "positiven Yvonne". Ich war versucht, mich nach einer anderen Yvonne umzudrehen, die vielleicht hinter mir saß. Die positive Yvonne? Ich hab Depressionen! Wen meinen die? "Ich find dich total cool! Wollte ich dir schon die ganze Zeit sagen!" Öhm... Jaaa????

 

Ich war bis dahin immer und überall in meiner Heimat stets die Komische und Sonderbare, die Blöde, auf deren Kosten man sich Späße erlauben konnte. Die falschen Klamotten, die falschen Interessen, der falsche Lebensstil. Egal, wie sehr ich versuchte, dazuzugehören und mich bis zum Verbiegen und zur Selbstverleugnung anzupassen, es nutzte nichts. Je unauthentischer ich wurde, desto schräger fand man mich. Bis ich zum Schluss mich selbst verloren hatte. Wer zum Henker bin ich und was interessiert mich wirklich? Und was, verdammt nochmal, ist so falsch an mir?

 

Eines Tages sah ich die Filmreihe "Divergent - Die Bestimmung". Der Vierteiler erinnert an "Die Tribute von Panem", ist aber längst nicht so gut und bekam auch eher schlechte Kritiken. Am Ende ohnehin Geschmacksache. Was mich aber an der Geschichte so faszinierte, war, wie sehr es ein Leben beeinflusst, in welche Schublade man gesteckt wird. Die Protagonistin Tris lebt in Chicago nach der durch einen Weltkrieg ausgelösten Apokalypse. Außerhalb der Stadt soll kein Leben mehr existieren. Die Gesellschaft ist in 5 Fraktionen eingeteilt. Alle Jugendlichen müssen sich einem Test unterziehen, der je nach Auslegung ihrer Fähigkeiten deren Bestimmung feststellt. Daraufhin werden sie den Fraktionen zugeteilt und führen fortan ein Leben unter Kämpfern, Gemüsebauern, Wissenschaftlern, Juristen oder Sozialisten. Tris' Test fällt nicht eindeutig aus. Das macht sie zu einer der Unbestimmten, welche als gefährlich eingestuft, gejagt und getötet werden. Im Untergrund lebt eine Gruppe Unbestimmter, die sich die "Fraktionslosen" nennt, der sich Tris zwischenzeitlich anschließt. Auf ihrer Suche nach Antworten auf die Frage, was Unbestimmte so gefährlich macht, findet Tris durch eine geheime Botschaft heraus, dass außerhalb der Stadt sehr wohl Leben existiert und das Gesellschaftssystem, in dem sie aufwuchs, ein Experiment der sogenannten "Erbauer" ist. Dieses Experiment testet die Menschheit in ihrer Fähigkeit des toleranten Miteinanders und ist offensichtlich gescheitert, da sich nicht nur die verschiedenen Fraktionen untereinander feindlich gesonnen sind, sondern eben auch die Unbestimmten wie menschliche Fehler ausgemerzt werden. Als Tris mit ihren Freunden hinter den Grenzen der Stadt zu den erwähnten Erbauern im "Amt für genetisches Sozialwesen" gelangt, wird sie dort als eine "Reine" gefeiert. Alle anderen Menschen in Chicago seien aufgrund genetischer Manipulationen, die in der Zeit vor dem Weltkrieg vorgenommen wurden, defekt. Tris muss feststellen, dass es auf der anderen Seite der Grenze auch nicht besser zugeht, wie zunächst vermutet, und letztendlich durch Rebellion eine völlig neue Ordnung geschaffen werden muss, die die Menschen nicht mehr klassifiziert und ihnen die freie Wahl lässt. Kurz und knapp erzählt. Die Geschichte ist deutlich komplexer.

 

Worum es aber geht, ist dieses Schubladendenken, dass ein Mensch nur in eine einzige Fraktion passen und nur die dafür benötigten Fähigkeiten und Veranlagungen zeigen darf. Tut er dies nicht, ist er falsch und gefährlich und wird ausgestoßen und verfolgt. Während in einem anderen System auf der anderen Seite der Grenze genau solche Menschen nicht als Problem sondern als Lösung betrachtet werden und deshalb erwünscht sind und nun alle anderen als falsch deklariert werden. Also im Grunde dasselbe nur andersherum. Die einzig wahrhaftige Lösung ist, diese Sichtweise von Richtig und Falsch aufzugeben, denn nur DAS ist Toleranz. Dass jeder so sein darf, wie er ist. Obwohl ich die Filme nicht so großartig fand, ist der Grundgedanke der Story wirklich brauchbar.

 

Ein anderes Beispiel aus der Religion. Maria Magdalena dürfte den meisten Menschen bekannt sein - und ich meine nicht den 80er Song von Sandra. In der katholischen Kirche wird Maria Magdalena als Heilige verehrt, weil sie eine geläuterte Sünderin ist. Als Prostituierte beinahe gesteinigt, rettete Jesus sie vor der Hinrichtung, woraufhin sie ihm und seiner Lehre folgte. Maria Magdalena war der erste Mensch, dem der auferstandene Christus begegnete. Sie erhielt den Auftrag, den anderen Jüngern die frohe Botschaft zu verkünden. Ansonsten wird diese Frau in der männerdominierten Kirche an den Rand gedrängt. Wechseln wir nun die Religion oder den Glauben, stellen wir fest, dass Maria Magdalena auch anderweitig verehrt wurde. Aber als Göttin und ägyptische Priesterin der Isis sowie als Gemahlin Jeshuas, die sich nicht nur auf heilende Sexualmagie verstand sonder auch auf einen Totenkult, der im Tempel der Isis gelehrt wurde. Für die Hebräer und späteren Kirchenmänner waren solche Frauen Huren. Ist es nicht interessant, welches Bild man von Maria Magdalena erhält, je nachdem von welchem Glaubensstandpunkt und welcher Kultur aus man sie betrachtet?

 

Solche Geschichten werfen in mir die Frage auf, ob das Bild, das ich durch andere von mir habe, nicht auch vielleicht verzerrt oder falsch ist. Vielleicht lag es all die Jahre gar nicht an mir, dass ich mich so unwohl in Gruppen gefühlt habe. Die Wahrheit liegt wohl wie immer irgendwo in der Mitte. Trotzdem gebe ich mir nicht mehr selbst die Schuld, wenn ich irgendwo nicht reinpasse. Manchmal liegt es einfach nur an den anderen bzw. an der Umgebung. Wer oder was davon nun falsch oder richtig ist, sollte nicht die Frage sein. Das lässt sich objektiv nicht bestimmen. Es muss für MICH stimmig und passend sein. Und die Antwort lautet mit Sicherheit nicht, dass ICH falsch bin. Oder schlecht, wenn wir das Beispiel der angeblichen heiligen Hure nehmen. Dass in Grönland keine Kokospalme wächst, liegt ja auch nicht an der Unfähigkeit dieser dummen Kokospalme. Das Klima passt nicht, und deshalb sollte man in Grönland keine Kokospalmen pflanzen. Also, kann man natürlich machen, bringt aber nix. Frustriert nur.

 

Gestern fragte ich mich, warum ich Menschenkontakt immer noch so anstrengend finde und warum es mir bei ein paar wenigen Menschen nichts ausmacht. Die Antwort: Bei letzteren kann ich ich selbst sein, bei allen anderen muss ich mich verstellen, zensieren und meine Schutzschilde hochhalten. Das macht es so anstrengend. Aus einer solchen Umgebung ziehe ich mich lieber zurück und suche mir stattdessen ein für mich gesundes Umfeld. Also raus aus Grönland und ab nach - ja, keine Ahnung, wo das sein soll.

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Kommentare: 2
  • #1

    Ulrike (Mittwoch, 20 März 2019 16:28)

    So ist es!
    Grade in den letzten Tagen hab ich wieder viel über genau dieses Thema nachgedacht. Langsam aber sicher komme ich immer mehr dahin, wo ICH bin. Ich mag nicht diskutieren, nehme vieles schnell persönlich, bin schnell angestrengt, ziehe mich zurück... na und? Dann bin ich eben eine harmoniesüchtige Mimose, ist halt so. Solange ich damit klar komme, ist doch alles gut.
    Jetzt muss ich nur noch die Stimmen aus der Vergangenheit zum Schweigen bringen, die mir immer noch einreden wollen, dass ich niemand bin und nichts zu geben habe und mich sowieso nie jemand haben will.... oder ich geh mit meiner Palme einfach dahin, wo es uns beiden gut geht ;-)

  • #2

    Sofasophia (Donnerstag, 21 März 2019 13:09)

    Großes Merci für diesen Text. Ich habe neulich ein klasse Buch gelesen (und rezensiert, im Blog), worin eine Frau eine Fehldiagnose (beginnende Demenz) erhalten hat und sich danach tatsächlich immer dementer verhalten hat, obwohl sie, wie später nachgewiesen wurde (neurologisch) keine Anzeichen von Demenz hatte. Weil sie eben dachte, dass sie dement sei.

    Wie wichtig es doch ist, dass wir wieder anfangen (oder gar nicht erst damit aufhören), uns zu vertrauen, unserem So-Sein. Nicht einfach. Aber ich glaube, es lohnt sich.

    Danke für deine Gedanken- und Herzanstöße!